Kommentar der Woche : Achtung! Die Abiturienten des Jahrgangs 2012 müssen sich warm anziehen!

Veröffentlicht am 02.07.2008 in Politik
Richard Dipper

1.7.2008

…..aber nicht nur Abiturienten; denn der doppelte Abitursjahrgang in 2012 wird alle Absolventen von allen Schularten in Baden-Württemberg betreffen. Pech hat, wer 2012 mit der Schule fertig wird und eine weiterführende Ausbildung anstrebt - sei es auf der Hochschule, oder sei es auf dem Ausbildungsmarkt im dualen System; denn es wird einen brutalen Verdrängungswettbewerb nach unten geben.

Und das betrifft dann auch Absolventen von Real- und von Hauptschulen. Sie bekommen Konkurrenz von oben.

In 2012 werden nach Prognosen des statistischen Landesamtes etwa 22 300 Abiturienten in Baden-Württemberg zusätzlich Studien- und Ausbildungsplätze nachfragen. Bundes-weit wird es zwischen 2011 und 2013 etwa 160 000 zusätzliche Studienanfänger geben; denn andere Bundesländer haben ebenfalls auf das achtjährige Gymnasium (G8) umgestellt.

Dies betrifft zunächst dann die Hochschulen, eine Welle von zusätzlichen Studienbewerbern rollt auf sie zu. Es ist nicht zu erwarten, dass diese sich anders verhalten als Abiturienten heute. Etwa zwanzig Prozent wollen gar kein Studium aufnehmen, sondern bewerben sich um einen Ausbildungsplatz in Industrie und Handel. Von denen, die ein Studium an einer Hochschule aufnehmen wollen, bewerben sich circa zwei Drittel an einer Universität und ein Drittel an Fachhochschulen und Berufsakademien.

Das Land will in den nächsten vier Jahren 16000 zusätzliche Studienplätze an den Hochschulen aufbauen. Nach dem derzeitigen Zwischenstand gehen aber davon weit weniger als ein Viertel an die Universitäten. Insbesondere die Berufsakademien sollen ausgebaut werden, weil dort die Studienplätze billiger sind, natürlich.

Nun sind die Hochschulen des Landes schon seit dem Öffnungsbeschluss Mitte der siebziger Jahre überlastet. Damals sollten sie einen Studierendenberg untertunneln. Nur kam es ganz anders. Der Anstieg der Studierendenzahlen kam, der prognostizierte Abstieg aber nicht. Grund dafür war, dass viel mehr junge Leute ein Studium aufnahmen, als vorhergesagt worden war.

Die Hochschulen des Landes wurden nun in den letzten zehn Jahren erheblich weiter geschwächt. Zwischen 1996 und 2006 galt der sogenannten „Solidar“pakt I zwischen den Hochschulen und der Landesregierung. Die Hochschulen mussten 10 Prozent ihres Personals abbauen und ihr Etat wurde auf dem Stand von 1995 eingefroren. Gleichzeitig nahm die Zahl der eingeschriebenen Studierenden in Baden-Württemberg um 10 Prozent zu. Inflationsbereinigt bedeutet das Einfrieren der Etats der Hochschulen aber einen Rückgang der Ressourcen um 15 Prozent. Im Gegenzug bekamen die Hochschulen dafür Planungssicherheit: Es wurde ihnen versprochen, dass nicht weiter gekürzt werde. Im letzten Jahr wurde der Etat nicht etwa angehoben, sondern auf weitere 8 Jahre fortgeschrieben, im sogenannten „Solidar“pakt II. Eine etwas einseitige Solidarität, oder?

In manchen Fächern war der Anstieg der Anfängerzahlen in den letzten Jahren dramatisch. Zum Beispiel im Maschinenbau. Die Vorlesung „Höhere Mathematik für Ingenieure“ an der Universität Stuttgart hat sich mit jetzt 1160 Hörern (in einem Vorlesungssaal mit 800 Plätzen) in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt. Das Lehrpersonal nicht, das ist abgeschmolzen worden. Während sich also die Studienbedingungen laufend verschlechterten, stiegen die Abruchquoten, im Maschinenbau zum Beispiel von 24 auf 33 Prozent. Wundert das?

In immer mehr Fächer werden Zulassungsbeschränkungen eingeführt. Dies betrifft gerade auch Fächer, in denen sich schon erheblicher Fachkräftemangel ausgebreitet hat. Dadurch gehen dem Land Milliarden an Wertschöpfung verloren. Firmen müssen zum Beispiel Aufträge ablehnen, weil sie keine Ingenieure finden. Im Maschinebau hält das Land etwa 550 Studienplätze an den Landes-Universitäten vor, die Universität Stuttgart allein hatte dagegen in diesem Fach letzten Sommer über 1100 Bewerbungen.

Was wird nun wohl passieren, wenn nach 2010 die zusätzlichen Abiturienten auf den Ausbildungsmarkt drängen? Die fast schon kaputtgesparten Landesuniversitäten werden nur wenig mehr aufnehmen können. Dort werden von der Landesregierung auch kaum zusätzliche Studienplätze geschaffen. Abiturienten, die ein Universitätsstudium aufnehmen wollen, werden es dann erheblich schwerer haben, einen der begehrten Studienplätze zu ergattern.

Wer keinen bekommt, wird sich vielleicht an Fachhochschulen oder Berufsakademien bewerben. Und damit setzt dann ein Verdrängungswettbewerb ein. Es ist dann damit zu rechnen, dass sich auch erheblich mehr Abiturienten mit Realsschul- bzw. Hauptschulabsolventen um Ausbildungsplätze konkurrieren und diese verdrängen werden.

Die Landesregierung geht von der Annahme aus, dass es um 2012 ein Nachfragehoch nach Studienplätzen gibt, mal wieder ein Studentenberg durch das Hochschulsystem rollt und nach wenigen Jahren der vorherige Zustand wieder hergestellt ist. Dementsprechend werden nach den Planungen der Regierung die zusätzlichen 16000 Studienplätze auch nur für einige Jahre vorgehalten. Für jede Professur, die neu eingerichtet wird, muss eine andere Professur benannt werden, die gestrichen wird, wenn der Berg untertunnelt ist. Das, was jetzt an Kapazität zusätzlich aufgebaut wird, soll bald wieder abgebaut werden.

Eine neuere Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) ergibt aber, dass das Land bis weit nach dem Jahr 2020 ein erhebliches Defizit an Studienanfängerplätzen aufweisen wird, nämlich von 8200 im Jahr 2007 über 21 300 im Jahr 2013 bis 11500 im Jahr 2020.

Eine Grundannahme der CHE-Studie ist, dass der Teil eines Jahrgangs, der ein Studium aufnimmt, für die nächsten Jahre konstant bleibt. Dabei ist es ja nicht so, dass nicht mehr hochausgebildete Fachkräfte dringend gebraucht würden. Hier zeichnet sich bereits ein Mangel ab, der sich in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen wird. Wesentlich mehr junge Leute eines Jahrgangs müssten dazu gebracht werden, ein Studium aufzunehmen.

Das Land täte gut daran, vorausschauend zu handeln und die notwendigen Studienkapazitäten an unseren Hochschulen nachhaltig aufzubauen und langfristig zu sichern. Nur so können mehr junge Leute für ein Studium gewonnen werden. Stattdessen wird Mangel verwaltet, weiter lustig drauf los gespart, und zwar langfristig. Ein Umdenken ist nicht in Sicht, das Chaos an den Hochschulen bleibt uns wohl noch einige Jährchen über 2012 hinaus erhalten.

Von einer Regierung, die das G8-Chaos an den Gymnasien angerichtet hat, darf man aber wohl Vorausschau nicht unbedingt erwarten.

Ganz herzlich
Dipper
Richard Dipper

 

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