Parteitag in Karlsruhe: Die SPD in Baden-Württemberg lebt ihren Wunsch nach Beteiligung

Veröffentlicht am 29.11.2009 in Aus dem Parteileben
Die Calwer Delegierten
Die Calwer Delegierten

Stuttgart 21 nach kontroverser Diskussion weiterhin befürwortet

Bei diesem Parteitag der baden-württembergischen SPD stand neben Neuwahlen und inhaltlichen Diskussionen auch der Abschied verdienter und langjähriger Mitglieder des Landesvorstands im Mittelpunkt. Allen voran wurde die bisherige Landesvorsitzende Ute Vogt verabschiedet, die der Partei 10 Jahre vorgestanden war und bei der sich die Partei mit minutenlangen stehenden Ovationen für ihren Einsatz bedankte.

Nils Schmid und Ute Vogt

Bei den Neuwahlen des Vorstands wurde der neue Vorsitzende Nils Schmid, der ja bereits vorab die Befragung der Mitglieder in Baden-Württemberg deutlich für sich entscheiden konnte, mit einer Mehrheit von 88,6% der Stimmen gewählt. In seiner Rede zwingt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Landtag die Delegierten zum genauen Hinhören: Er bietet wenig Emphase, wenig Parolen und wenige Angriffe auf den politischen Gegner, die man mit einer Aufmerksamkeit wie beim Querlesen heraushören könnte – entsprechend mager fallen die Zwischenapplause aus, die andere Redner so selbstverständlich in ihre Reden einbauen.

Am Ende überzeugt Nils Schmid eben doch mit seiner ruhigen Rede, in der er einen weiten Bogen über wichtige Landesthemen wie Bildung und Integration oder Finanz- und Steuerpolitik spannt, die Delegierten ebenso wie die Korrespondenten der Medien, die ganz überwiegend angetan sind vom neuen Vorsitzenden der SPD in Baden-Württemberg.

Nils Schmid und seine Frau

Stellvertreter des neuen Landesvorsitzenden sind in der Reihenfolge ihres Stimmergebnisses für Nordwürttemberg neu die Landesvorsitzende der Gewerkschaft ver.di Leni Breymaier (85,7% der Stimmen) und die bisherigen Amtsinhaber für Nordbaden Dr. Lars Castellucci (71,7%), für Südbaden die Bundestagsabgeordnete Elvira Drobinski-Weiß (68%) und für Südwürttemberg die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis (58,5%), die bei der Mitgliederbefragung um den Landesvorsitz Nils Schmid unterlegen war. Neuer Generalsekretär wurde der Bundestagsabgeordnete Peter Friedrich aus Konstanz (77,9%), alter und neuer Schatzmeister ist Karl-Ulrich Templ aus dem Kreis Calw (89,7%).

Bericht des Schatzmeisters Karl-Ulrich Templ

Im Leitantrag „Verkehrsinfrastruktur“ war viel Zündstoff verborgen: 8 Änderungsanträge hatten die Delegierten zu beraten, 2 davon befassten sich mit den Formulierungen um die Haltung zu Stuttgart 21. Die Strategie der Antragskommission, wichtige Änderungsanträge einzuarbeiten und zu Stuttgart 21 schließlich eine versöhnliche Haltung zu ermöglichen, hat letztlich eine große Zustimmung der Delegierten für den veränderten Leitantrag ermöglicht.

In der Formulierung zu S21 heißt es nun: „Das Projekt muss ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis aufweisen. Sollte sich bis zum Jahresende herausstellen, dass die Kosten über den bislang vereinbarten und finanzierten Beträgen (Investitionskosten zzgl. Risikofonds) hinausgehen, lehnen wir zusätzliche Mittel aus dem Landesetat ab.“

Delegierte

Dem danach noch eilig eingebrachten Antrag eines einzelnen Delegierten, das Projekt Stuttgart 21 solle sofort aufgegeben werden, war kein Erfolg mehr gegönnt: er wurde mit überragender Mehrheit abgelehnt.

Der Leitantrag für eine zeitgemäße Industriepolitik fordert im Kern eine neue Politik für die große mittelständische baden-württembergische Industrie und schlägt kurzfristig die Einrichtung von Regionalfonds zur Überwindung der Kreditklemme vor. Mobilität in der Zukunft und dazu die Entwicklung alternativer Antriebe werden als wichtige Perspektive herausgestellt. Einige Beachtung fanden dabei der ergänzende Antrag der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen, der eine Gründerinitiative fordert, sowie der Antrag der Europaabgeordneten Evelyne Gebhardt zur Erwerbstätigkeit von Frauen.

Im Bereich Innenpolitik und Wahlrecht wurden Anträge vom Parteitag angenommen, die für Migrantinnen und Migranten der ersten Generation die Hürden für die deutsche Staatsbürgerschaft absenken sollen und die das aktive und passive Kommunalwahlrecht auch für EU-Migranten und –Migrantinnen (und darüber hinaus für Nicht-EU-Migrantinnen und –Migranten, die länger als 3 Jahre in der Kommune leben) vorsehen.

Präsidium

Die Anträge zur Internetpolitik, modernen Medien und moderner Kommunikation waren so umfassend, dass eine eigene Delegiertenkonferenz zu diesem Themenkomplex angesetzt werden soll.

Das Innenleben der Partei betrafen Anträge zur Urwahl der Spitzenkandidaten in Land und Bund, die in einem Auftrag an den Landesvorstand mündeten, eine diesbezügliche Satzungsänderung bis zum nächsten Landesparteitag vorzubereiten. Die Forderung von verschiedenen Antragstellern, in der Satzung zu verankern, dass bedeutende inhaltliche Weichenstellungen künftig auf Antrag per Mitgliederbefragung entschieden können brachte nicht behandelt zu werden, da dies bereits heute nach den Statuten möglich ist.

Die bisherige Arbeitsgruppe der Schwusos erhält den Status einer Arbeitsgemeinschaft. Ein Antrag verschiedener Arbeitsgemeinschaften, dass deren Vorsitzende künftig ohne die Legitimation eines Parteitags mit Stimmrecht im Landesvorstand vertreten sein sollen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Die Antragskommission und mit ihr die meisten Delegierten waren der Auffassung, auch Vertreter der Arbeitsgemeinschaften hätten die Möglichkeit, sich beim Landesparteitag um ein Mandat zu bewerben. Die demokratische Legitimation der Mehrheit der Delegierten würden sie dann mit allen Mitgliedern des Landesvorstands teilen.

Weitere wichtige Initiativanträge und Resolutionen, die der Landesparteitag in Karlsruhe beschlossen hat, betreffen die Wahrung der Produktion der C-Klasse in Sindelfingen und der Rechte der Personalräte im Landespersonalvertretungsgesetz. Die Delegierten unterstützen solidarisch die Studentenproteste für mehr Chancengleichheit in der Bildung. Besonders eindringlich plädierte die Europaabgeordneten Evelyne Gebhardt für ihren Antrag zum SWIFT-Abkommen: Bundesinnenminister de Maiziere wird darin aufgefordert, das Abkommen der EU-Staaten mit den USA nicht zu unterzeichnen, das den Behörden der Vereinigten Staaten praktisch jeden Zugriff auf die Daten von Finanztransaktionen, also zum Beispiel Überweisungen erlaubt, ohne dass deutsche Behörden darüber irgendeine Kontrolle oder auch nur Kenntnis hätten. Deutsche und andere europäische Bürgerinnen und Bürger müssen vor diesen datensammelwütigen, selbsternannten Terrorbekämpfern geschützt werden.

Von den 9 Antragsbereichen wurden 5 komplett an den Landesvorstand verwiesen, weil Vorstand und Delegierte am Samstag um kurz vor 17 Uhr nach insgesamt rund 14 Stunden keine Zeit und Energie zu weiteren Diskussionen, Verhandlungen und Abstimmungen mehr hatte. Behandelt wurden also die Antragsbereiche Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik, Innenpolitik und Wahlrecht sowie Parteileben. Abgesehen von den genannten Initiativanträgen und Resolutionen kamen die Bereiche Arbeit und Sozialpolitik, Bildungspolitik, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Finanz- und Steuerpolitik sowie die Gleichstellungspolitik nicht zum Zug – aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Die Anträge werden im Landesvorstand beraten und weiterverfolgt werden.

Die Wahlergebnisse

Die Anträge werden in Kürze im Internet zur Verfügung stehen.

 

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