Der politische Kommentar: Weitsichtig qualifizieren, umsichtig erwirtschaften

Veröffentlicht am 27.10.2008 in Bundespolitik
Esther Peylo

Von Esther Peylo

Sozialer Ausgleich kann nur geleistet werden, wenn der wirtschaftliche Wohlstand gesichert ist. Das Angebot an Arbeitsplätzen hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark verändert, nachgefragt sind deshalb kreative Antworten auf die Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe. Auch hier gilt der Satz von Erhard Eppler: „Nur wer vorausblicken kann, kann Entscheidungen treffen auf die Zukunft hin.“

Die Folgen der Finanzkrise haben in diesen Tagen auch die reale Wirtschaft erreicht, und zwar unter anderem an der empfindlichsten Stelle, der Automobilindustrie. Die fürchtet nun nicht nur um ihren Umsatz, sondern um ihre Zukunft. Viel zu lange hatte sie auf monströse PS-starke Benzinfresser für den US-Markt gesetzt und die Nachfrage nach kleineren und sparsameren Fahrzeugen unterschätzt. Den Hybrid – den Mischantrieb aus Benzin- und Elektromotor – haben die deutschen Autobauer schlicht verschlafen, obwohl er bei der seit langem angemahnten Einhaltung der CO2-Grenzwerte hilfreich hätte sein können. Nun wird wohl mit dem Abbau von Arbeitsplätzen auf die Misere reagiert – Experten rechnen mit einem Rückgang der 763 000 Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie bis 2015 um 10 bis 15%. Ein Dominoeffekt hätte hier verheerende Folgen, da viele Zulieferfirmen ebenfalls von der wirtschaftlichen Situation der Autobauer abhängig sind. Als unschlagbarer Jobmotor hat die Automobilindustrie vorerst ausgedient und nun müssen sich Wirtschaft und Politik genau überlegen, wo im Hochlohnland Deutschland der Arbeitsmarkt der Zukunft liegt und welche Branchen gefördert werden müssen: Ökologie, Forschung, Dienstleistung und Bildungswesen stehen hier an erster Stelle. Besonders Erfolg versprechend sind diese Bereiche, wenn sie an den Ausbau und die Förderung erneuerbarer Energien gekoppelt sind und wir damit eine grössere Unabhängigkeit vom Energiemarkt erreichen (die Abhängigkeit von endlichen Energieformen wie Erdgas, Erdöl, Uran, Kohle etc. beträgt in Deutschland momentan 75%!). Von Arbeitslosigkeit betroffen sind besonders niedrig Qualifizierte, ältere Arbeitnehmer und Schulabgänger. Sie brauchen am meisten Unterstützung durch Weiterbildungs- und Eingliederungsmassnahmen. Hierzu hat die SPD hat in den vergangenen Jahren unter der Federführung von Andrea Nahles wirkungsvolle Konzepte entwickelt. Neu eingeführt wird nun der Rechtsanspruch auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung, die mit SGB II-Mitteln für Personen finanziert werden soll, die dieses Ziel erreichen können und wollen. Menschen mit Migrationshintergrund können bei Bedarf Sprachkurse in Anspruch nehmen. Ausbildungsplätze in den technischen Berufen bleiben häufig unbesetzt. Offenbar ist unser Bildungssystem nicht darauf eingestellt, Kinder und Jugendliche für Mathematik, Technik und Naturwissenschaften zu begeistern. Neben Räumlichkeiten und dem Equipment für Experimente fehlt besonders das qualifizierte Personal (das gilt sowohl für Berufs- als auch für allgemein bildende Schulen), das dem undankbaren Lehrerjob bisher die gut bezahlten Jobs in der Wirtschaft oder Forschungsprojekte in der Wissenschaft vorzieht. Eine Aufwertung unseres Bildungssystems durch erhebliche Investitionen (hatte Ministerpräsident Oettinger nicht etwas von einem Kinder-Technik-Wunderland erzählt?) würde nicht nur den Lehrerberuf für diese Fachkräfte attraktiver machen, sondern Schülerinnen und Schülern ein Interessenfeld eröffnen, das sie bis dahin als Schulfach noch nicht für sich entdeckt haben. In ihrem Alltag nimmt die Elektronik in Form von Handy, MP3-Player und Internet via PC bereits einen breiten Raum ein, bisher können sie diese Fähigkeiten und Kenntnisse in der Schule nicht (oder nur „störend“) einbringen. Diese Schülerinnen und Schüler gehören oft zu denen, die auch an anderen Schulfächern wenig Interesse zeigen. „Keines soll verloren gehen“ als wünschenswerte Maxime unseres Bildungswesens könnte hier heissen, sie in ihren Interessengebieten abzuholen und ihr Können in einem Schulfach „Medienkunde“ zu bündeln und abzufragen. Dies wäre eine gute Gelegenheit, Medienkompetenz zu vermitteln, sich auch mit den Themen Gewalt und Sprache in den Medien auseinanderzusetzen und Fächerübergreifende Projekte (Fremdsprachen, Deutsch, Gemeinschaftskunde, Physik/Technik) zu initiieren. Bisher ist es für junge Leute nur über Umwege möglich, sich in Handwerksberufen qualifiziert ausbilden lassen, die mit Umwelttechnik und erneuerbaren Energien wie Solarthermie und Photovoltaik zu tun haben. In der Solarbranche herrscht ein Wirrwarr an Berufsbildern, was Jugendlichen den Weg in einen zukunftsträchtigen Handwerksberuf nicht eben erleichtert. Sowohl der Zentralverband Sanitär Heizung und Klima (SHK) als auch der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) beanspruchen für sich, das nötige Wissen in ihren Ausbildungslehrgängen zu vermitteln – da müssen sich Jugendliche aber mit vielen anderen Inhalten (wie Gas- und Ölöfen) beschäftigen, bevor sie sich mit Solartechnik befassen dürfen. Ein einheitlicher Ausbildungsgang zum Solartechniker oder Öko-Installateur (wie in Österreich) wäre hier hilfreich. Die hohe Zahl der Studienabbrecher und Studienfachwechsler in den Ingenieur- und Naturwissenschaften (die Abbrecherquote im Studienfach Maschinenbau beträgt 35%!) könnte ein Stipendienprogramm der Wirtschaft senken. Die Arbeitsbelastung der Studenten in diesen Fächern ist nach der Verkürzung der Studienzeiten durch die Bachelor- und Masterreform so hoch, dass zum Jobben eigentlich keine Zeit mehr bleibt. Dennoch müssen viele Studierende für ihren Lebensunterhalt arbeiten gehen. Besonders in Bundesländern wie Baden-Württemberg, die Studiengebühren erheben, wächst diese Belastung ins Unerträgliche. Daher wären Stipendien in der Höhe von 500 bis 750 Euro monatlich für eine ausgewählte Zahl von Studierenden eine gute Lösung. Die Firmen könnten sich durch Praktikaangebote geeignete Stipendiaten selbst aussuchen und so eine vorausschauende Personalpolitik für die Zeit nach dem Studium betreiben. Um die hohe Zahl von Studienabbrechern effektiv zu senken muss allerdings - das fordert der Wissenschaftsrat in Berlin ausdrücklich - auch die Betreuung der Studierenden verbessert werden. Die Studiengebühren wieder abzuschaffen ist schon lange eines der erklärten Ziele der SPD in Baden-Württemberg. In der Forschung sind für Projekte der Umwelttechnologie insgesamt 585,5 Millionen Euro eingeplant, was sehr zu begrüssen ist. Allerdings ist unverständlich, warum Bundesforschungsministerin Annette Schavan gerade 10 Millionen Euro für Projekte der Atomforschung genehmigt hat, die unter der rot-grünen Bundesregierung aus guten Gründen keine öffentlichen Gelder mehr bewilligt bekam. Ausserdem sollen 33,5 Millionen € an Forschungsgeldern für die nukleare Sicherheits- und Endlagerforschung ausgegeben werden – diese Aufgabe hätte eigentlich die Atomindustrie in den vergangenen 30 Jahren leisten sollen! Neue Wege bei der Vergütung des Unternehmensvorstands hat eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung erarbeitet mit dem Titel „Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Funktion grosser Kapitalunternehmen in Vergütungssystemen für die Mitglieder von Vorständen“. Die Wissenschaftler Dudo von Eckardstein und Stefan Kronlechner schlagen darin vor, einen Teil der variablen Managervergütung (ca. 20 % der Gesamtbezüge) an das Erreichen sozialer oder ökologischer Ziele zu knüpfen. Die Manager bekämen ihre Boni demnach ausbezahlt, wenn das Unternehmen auf dem jeweiligen Gebiet (z.B. Beschäftigungssicherheit oder ökologische Massnahmen) über einen grösseren Zeitraum erfolgreich war. In entscheidenden Punkten ist eine effektive Wirtschaftspolitik grenzüberschreitend auf europäisch einheitliche Regelungen angewiesen:
  • Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrem Lohn leben können. Dies ist nur durch Existenz sichernde tariflich vereinbarte oder gesetzliche Mindestlöhne zu gewährleisten.
  • Unternehmen, die faire Löhne zahlen, müssen vor Konkurrenz durch Dumpinglöhne geschützt werden. Lohndrückerei durch überbordende Leih- und Zeitarbeit und Sozialdumping durch ungleiche Behandlung von Stamm- und Randbelegschaften ist in vielen Betrieben zum Standart geworden. Dies geht nicht nur auf Kosten des Service, sondern auch auf Kosten der Qualität und der Produkte. Ein Tariftreuegesetz kann dafür sorgen, dass zumindest öffentliche Aufträge nur an Tarifgebundene Unternehmen vergeben werden dürfen. Die Verdoppelung der Wertgrenzen, bis zu denen öffentliche Bauaufträge an das heimische Handwerk vergeben werden können, verbessert die Bedingungen für Mittelstand und Handwerk bei der Auftragsvergabe.
  • Betriebsräte müssen früher als bisher über Beschäftigtenzahlen, geplante Investitionen und (auch grenzüberschreitende) Umstrukturierungen informiert werden. Das europäische Betriebsverfassungsrecht muss deshalb novelliert werden.
  • Im Wettbewerb der europäischen Mitgliedstaaten um die niedrigsten Steuern und günstigsten Standortvorteile sind Steuerdumping und Steuerflucht Tür und Tor geöffnet. Nur eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung schafft hier Abhilfe.
  • Die Gleichstellung der Menschen und der Schutz vor Diskriminierung sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einem Europa der Chancengleichheit! Mit Blick auf die Einkommensunterschiede und die ungleichen Karrierechancen von Frauen und Männern kann eine europäische Gleichstellungsrichtlinie eine gerechte Verteilung guter Arbeit, verbesserter Bezahlung und gleiche Chancen unabhängig von sozialen Unterschieden durchsetzen.
Esther Peylo, 26.10.08
 

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